direkt zum Hauptinhalt springen

Am Sonntag, 14. Mai, auf der Zahnradbahn: Abschied vom letzten alten Zug von 1982

PM 12.05.2023 | Am Sonntag findet auf der Zahnradbahn endgültig der Generationswechsel bei den Fahrzeugen statt. Voraussichtlich zum letzten Mal geht der letzte der drei Triebwagen von 1982 mit der Nummer 1002 in den Fahrgasteinsatz. Er läuft den Sonntag über als zusätzlicher Wagen mit den beiden planmäßigen neuen Fahrzeugen mit. Der Technische Vorstand der SSB, Thomas Moser, würdigt den Wagen 1002 gegen 11 Uhr auf dem Marienplatz, bevor dieser in seinen letzten Einsatztag geht.

Drei dieser Triebwagen hatte die SSB im Jahr 1982 in Dienst gestellt. Hersteller war eine Arbeitsgemeinschaft aus den traditionsreichen Lieferanten Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) mit dem Schienenfahrzeugwerk Nürnberg, die Aufbau und Fahrwerk bereitstellten, weiter die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) für den Antriebsteil mit der speziellen Zahnradtechnik für Bergbahnen, schließlich die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) mit ihrem Werk Berlin, die für die elektrische Ausrüstung (E-Teil) verantwortlich zeichnete.

Sozusagen eine „halbe Stadtbahn“

Konstruktive Grundlage war die Idee, das Gehäuse einer „halben“ Stadtbahn der SSB auf ein Fahrgestell mit Zahnradantrieb zu setzen. Damals, nach Stand 1981/82, gab es für die Stadtbahn erst drei sehr unterschiedliche Einzelzüge als Prototypen. Somit bildeten die drei Triebwagen für die Zahnradbahn, die im Spätsommer und Herbst 1982 nach Stuttgart geliefert wurden, in gewisser Weise die erste „Serie“ der Stadtbahn. Dadurch, dass die SSB die grundsätzliche Entwicklungsarbeit selbst übernommen hatte und das Grundkonzept für die künftigen Stadtbahnwagen in wesentlichen Teilen vorwegnahm, sparte die SSB teure Konstruktionskosten durch die Fahrzeugbauindustrie.

Die drei neuen Triebwagen von 1982 lösten seinerzeit die alten Fahrzeuggarnituren ab, deren Triebwagen von 1935/36 und 1950 stammten, die Beiwagen (Vorstellwagen) teils sogar noch von anno 1898! Die Ursache ür die Überalterung des Fahrzeugparks war, dass die bereits 1959/60 geplant gewesene Beschaffung neuer Wagen gestoppt worden war, weil die SSB gleichzeitig nach und nach dringend 350 neue Straßenbahnwagen beschaffen musste, um teils völlig überalterte Vorkriegswagen abzulösen. Ab 1969/70 gab es zwar Fördergelder für den ÖPNV durch den Bund, doch zeitweise nur für vollspurige stadtbahnartige Netze, so dass die meterspurige, einer Straßenbahn ähnliche Zahnradbahn der SSB nicht auf Fördermittel hoffen konnte. Über zehn Jahre lang ging daher der Betrieb mit den immer älter werdenden Fahrzeugen weiter, bis sich 1980/81 die salomonische Lösung mit dem neuen Entwurf aus dem eigenen Hause abzeichnete.

Die Fahrradwagen

Als die neuen Triebwagen schon im Bau waren, kam die Idee auf, auch den Radfahrern eine Erleichterung zu bieten. Denn auf den alten Zügen, die bis 1982 fuhren, gab es gar keine Fahrradmitnahme – so wenig wie bei der Straßenbahn. Die schmalen offenen Bühnen, die ins Innere der Beiwagen der Zahnradbahn führten, waren dazu viel zu beengt. Fahrräder wurden von ihrem Benutzer den steilen Berg hochgeschoben, so war man das gewöhnt. Doch die Anfang der 1980er Jahre aufkommende Umweltbewegung begann, dem Fahrrad als Verkehrsmittel hohen Stellenwert einzuräumen.

In den neuen Triebwagen war aber keine Fläche verfügbar, außerdem waren sie längst im Bau. So schuf der damalige Fahrzeugbauer Waggon-Union Berlin in Rekordzeit drei separate Transportwagen für die Fahrräder, die wegen ihrer Platzierung auf der Bergseite der Triebwagen dann Vorstellwagen genannt wurden. Schon 1983 standen diese Spezialwagen zur Verfügung, zur Freude der Radlerszene. Seither gehört der originelle Anblick der großen schweren Triebwagen, die das winzige Fahrradtransportgestell bergwärts vor sich herschieben, zur in dieser Formweltweit einzigartigen Erscheinung der Stuttgarter Zahnradbahn. Mit den nun in Dienst gestellten neuen Zuggarnituren von 2022/23 ändert sich am Prinzip nichts, nur sind alle Fahrzeuge eleganter geworden und der Fahrradwagen hat sich zum eigenständigen großen Fahrzeug entwickelt.

Sparsame Zahnradbahn

Die Triebwagen von 1982 bildeten erst die vierte Generation an Fahrzeugen auf der Stuttgarter Zahnradbahn, denn bis dahin war den Dampfloks von anno 1884 erst die erste Stufe der elektrischen Traktion von 1902 gefolgt und eine fortgeschriebene Neuauflage von 1935. Zwei 1950 dazugekommene Triebwagen folgten technisch der Ausführung von 1935, sie waren nur etwas jünger. „Somit gelten die jetzt neu im Linienbetrieb befindlichen Züge von 2022 als fünfte Generation“, sagt SSB-Vorstandssprecher Thomas Moser: „Das ist nicht viel in 140 Jahren – das zeigt, wie sorgsam die SSB mit den Ressourcen umgeht.“

Was wird nun aus den bisherigen Fahrzeugen? Seit Sommer 2022 hat Triebwagen 1003 seinen Platz im Straßenbahnmuseum in Bad Cannstatt gefunden. Das Fahrzeug steht dort aber – bedingt durch die mangelnde Rangierbarkeit wegen den nach unten herausschauenden Hauptzahnrädern – im Depotteil, der nicht regulär zugänglich ist, auch weil dort die betriebsfähigen Fahrzeuge der Museumslinie 23 gewartet werden und durchfahren. An den Öffnungstagen des Museums – außer sonntags – gibt es jedoch die grundsätzliche Möglichkeit, dass einzelne Besuchergruppen auf Wunsch auch die dortigen Fahrzeuge der Zahnradbahn kurz sehen können, sofern das Museum dafür Mitarbeiter freimachen kann.

Wer will die „Alten“?

Von den drei bisherigen Fahrradloren wird eine demnächst ebenfalls ins Museumsdepot nach Bad Cannstatt gelangen, damit sich dort Helene wieder in gewohnter Gesellschaft ihres Anhängsels befindet. Die zwei weiteren Loren gehen an den Verein Bergische Museumsbahnen in Wuppertal, der dort eine Straßenbahn-Museumslinie betreibt und mit den Stuttgarter Wägelchen die Fahrradmitnahme auf seiner Bergstrecke ausbauen möchte.

Für die beiden verbleibenden Triebwagen 1001 und 1002 gibt es grundsätzlich zwei private Interessenten. Wagen 1001 hat bereits Ende 2022 aus Platzgründen die Gleisanlage der Zahnradbahn verlassen und ist vorläufig in der Hauptwerkstatt der SSB in Stuttgart-Möhringen remisiert. Für den bis heuer nun letzten verbliebenen Wagen 1002 wird ein baldiger Abtransport zu seinem Empfänger angestrebt, damit es im Betriebshof wieder mehr Platz gibt.

 

So fährt Triebwagen 1002 am Sonntag, 14. Mai:

• 11 Uhr: Ansprache von Thomas Moser auf dem Bahnsteig am Marienplatz
• 11.15: Geplante erste Abfahrt nach Degerloch

• 11.50 – 16.50: weitere Abfahrten, jedoch ab Betriebshof, Filderstraße 47
• Mitfahrt gegen Spende an den Verein Stuttgarter Historische Straßenbahnen (SHB),
   Fahrschein beim Schaffner am Wagen erhältlich

• Pendelverkehr mit historischen Bussen von und zum Straßenbahnmuseum Stuttgart. 
   Mitfahrt gegen Spende, Fahrschein beim Schaffner

• Straßenbahnmuseum in Bad Cannstatt, Veielbrunnenweg, 10 – 18 Uhr geöffnet

• Im Museum: Ausstellung zur Geschichte der Zahnradbahn, Fotos, Filme;
   Präsentation der Antriebsteile, Drehgestell

• Im Museum: Magazinfahrten in die Obere Halle zu den beiden dortigen alten  
   Triebwagen und Fahrzeugen der Zahnradbahn (von 1898, 1950 und 1982)

• Straßenbahn-Museumslinie 23 (Straßenbahnmuseum – Charlottenplatz – Ruhbank):
   zusätzliche Abfahrten, Verkehr von 10.30 – 16 Uhr

• Oldtimerbus als Zubringer vom Museum in Bad Cannstatt nach Esslingen zum
   dortigen historischen O-Bus (elektrischer Oberleitungbus)  

• Am 14. Mai: Damen haben freien Eintritt ins Straßenbahnmuseum

• Tageskarte erhältlich, gilt pauschal für: Linie 23, Museum, Oldtimer-Zubringerbusse 

 

 

Triebwagen Typ S-ZT 4.1, Betriebsnummern 1001 bis 1003, Baujahr 1982

Erbauer:                               MAN Nürnberg + SLM Winterthur + AEG Berlin

Länge                                  20,5 m;
Gewicht                               33 t
Konstantfahrstufen                17 kmh | 21 km/h | 30 km/h
Eingangsspannung                 750 V
Leistung                               2 x 269 kW
absolvierte Kilometer              Triebwagen 1001 =     1 293 842 km
                                            Tw        1002       =        770 250 km
                                            Tw 1003               =       898 817 km